Im Erzgebirge spricht die Wohnung mit den Bewohnern

15 Mär 2017

Die Wohnungsgesellschaft Raschau mbH hat zusammen mit Partnern aus eigener Kraft und ohne Fördermittel ein Haus umgebaut und mit AAL-Technologie ausgestattet – und dabei immer darauf geachtet, dass nur solche technischen Angebote zum Einsatz kommen, die sich die Mieter tatsächlich wünschen.

Kai Schwengfelder steht vor einer Herausforderung, die auch viele andere Chefs von Wohnungsunternehmen im ländlichen Raum kennen: Seine Kunden werden immer älter. Rund 52 Jahre beträgt das Durchschnittsalter der Mieter der Wohnungsgesellschaft (WG) Raschau mbH, deren Geschäftsführer Schwengfelder ist. Gleichzeitig fehlen in Raschau-Markersbach, einer 5.500 Einwohner zählenden Gemeinde im sächsischen Erzgebirge, barrierearme Wohnungen. Die Wohnungsgesellschaft Raschau ist hier mit 860 eigenen Wohnungen der größte Vermieter.

Doch seit Jahresbeginn hat Schwengfelder ein Objekt im Bestand, das für ältere Menschen perfekt geeignet ist: In der Beethovenstraße 24 hat das Unternehmen ein Wohnhaus so umgebaut, dass die Wohnungen nicht nur schwellenfrei zugänglich, sondern auch mit Anwendungen des Ambient Assisted Living (AAL) ausgestattet sind. „2013 wurde die Idee geboren, langes und selbstbestimmtes Wohnen in der eigenen Wohnung zu ermöglichen“, berichtet Schwengfelder. Er fasste dafür das Gebäude in der Beethovenstraße ins Auge, das 1971 als Arbeiterwohnheim entstand. Seit langem war es in schlechtem baulichen Zustand. „Deshalb“, sagt Schwengfelder, „standen wir vor der Frage, ob wir es abreißen oder umgestalten sollten.“

Das ehemalige Ledigenwohnheim ist das einzige Objekt im Portfolio des kommunalen Wohnungsunternehmens, das ohne Stufen zugänglich ist. Dieser Vorteil bot die Basis für eine barrierearme Erschließung sämtlicher Wohnungen, die jetzt dank Aufzug auch körperlich beeinträchtigte Mieter problemlos erreichen können. Darüber hinaus wurde der Zuschnitt der Wohneinheiten komplett geändert: Während es ursprünglich 28 1- und 1,5-Zimmer-Wohnungen gab, stehen nun 16 2-Raum-Wohnungen mit jeweils etwa 64 m2 Wohnfläche sowie zwei großzügige Einheiten im neu ausgebauten Dachgeschoss zur Verfügung.

Sicherheit dank Technik
Innerhalb der Mauern wurde technisch gewaltig aufgerüstet. Dafür holte sich Schwengfelder als Partnerin die NSC GmbH aus dem sächsischen Lichtenstein ins Boot. Sie ist eine Tochtergesellschaft der ACX GmbH und hat das Gebäudeautomatisationssystem ViciOne entwickelt. Bei der Planung, erläutert Produktmanager Frank Brylok, „lag der Schwerpunkt darauf, dass die Bedienung der Wohnungen problemlos wie gewohnt über die im Raum befindlichen Schaltstellen erfolgen kann“. Das Licht schalten die Bewohner also ganz normal über einen Taster ein, und auch die Heizung können sie nach ihren Bedürfnissen regeln. Ungewöhnlich ist dagegen der Kommen- und Gehen-Taster neben der Wohnungstür. Drückt der Mieter beim Betreten der Wohnung diesen Schalter, wird er über einen Lautsprecher mit einem freundlichen „Guten Tag“ begrüßt. Beim Verlassen der Wohnung sorgt das Betätigen dafür, dass Licht und Herd – sofern nicht schon geschehen – ausgeschaltet werden. Sicherheit garantieren auch die Leckage-Sensoren, die in Bad und Küche eingebaut sind und im Fall der Fälle automatisch die Wasserzufuhr absperren.

Die Temperatur in den Räumen lässt sich über einen Dreifach-Taster regeln. Als Grundeinstellung sind dabei drei Temperaturen (19.5, 21 und 23°C) gesetzt. Mieter, die sich bei einer anderen Temperatur wohler fühlen, haben zwei Möglichkeiten: Sie können den Hausmeister bitten, die Temperatur nach ihren Wünschen einzustellen, oder aber – sofern sie einen Tablet-PC haben – die Temperatur selbst in 0,5°C-Schritten verändern. Auch die anderen Funktionen in der Wohnung lassen sich wenn gewünscht über eine auf dem Tablet installierte App steuern.

Für weiteren Komfort und zusätzliche Sicherheit sorgen zudem Sensoren, die in allen Räumen an der Decke eingebaut sind und die zahlreiche Funktionen übernehmen. Merkt z. B. der Sensor, dass sich Rauch entwickelt, warnt er den Bewohner akustisch mit einem Piepton und schaltet zudem in der gesamten Wohnung das Licht an. Und wenn die Luftfeuchtigkeit eine Stunde lang bei über 70 % liegt, sagt eine automatische Stimme so lange „Schimmelgefahr“, bis der Bewohner das Fenster geöffnet und die Luftfeuchte wieder den akzeptablen Bereich erreicht hat. Zudem nimmt der Sensor wahr, wenn sich der Mieter längere Zeit nicht bewegt. Reagiert der Bewohner dann nicht auf die akustische Nachfrage, wird automatisch eine E-Mail an Angehörige, Nachbarn oder einen Pflegedienstleister verschickt.

Bei alledem steht der praktische Nutzen im Vordergrund, wie Schwengfelder betont: „Es geht um Dinge, die aus unserer Sicht zweckmäßig sind.“ Wichtig ist für ihn außerdem, dass die Bewohner selbst entscheiden können, in welchem Ausmaß sie die technische Assistenz beanspruchen wollen. Die Nutzung des Kommen-und-Gehen-Schalters ist genauso freiwillig wie die Aktivierung des Bewegungssensors.

Realisierung mit Partnern
In das gesamte Projekt – also die baulichen Maßnahmen und den Einbau der Technik – investierte die WG Raschau rund 1,6 Mio. €, was bei einer Wohnfläche von 1.130 m2 einem Aufwand von gut 1.400 €/m2 entspricht. Fördermittel wurden nicht in Anspruch genommen. Unverzichtbar für die Realisierung war laut Schwengfelder jedoch die Zusammenarbeit mit Partnern, wobei die Volksbank Chemnitz die Finanzierung übernahm. Finanziell beteiligte sich auch der Energieversorger Envia Mitteldeutsche Energie AG (enviaM): Er brachte 27.000 € auf und damit knapp die Hälfte der auf 60.000 € bezifferten Kosten für die AAL-Technik. „Unser Anliegen als Energiedienstleister ist es, Wohnraum aufzuwerten und so für Vermieter und Mieter attraktiver zu machen“, begründet enviaMPressesprecher Stefan Buscher das Engagement seines Unternehmens. Dabei gehe es u. a. darum, die Infrastruktur für AAL-Anwendungen bereitzustellen. Das Projekt in Raschau bietet Buscher zufolge „einen idealen Rahmen, um auszuloten, wie wir das Wohnen der Zukunft mitgestalten können: Wir testen Assistenzsysteme, die für möglichst alle Mieter einen Mehrwert bieten.“

Diesen Testcharakter unterstreicht auch Geschäftsführer Schwengfelder: Ziel sei es, Erfahrungen zu sammeln, welche Anwendungen bei den Mietern gut ankämen, und diese nach Möglichkeit auf andere Häuser zu übertragen. Bei den Wohnungssuchenden kommt das Projekt auf jeden Fall schon mal gut an: Bei Übergabe der Wohnungen zu Beginn dieses Jahres war eine einzige der 18 Wohnungen noch nicht vermietet. Dabei hat Schwengfelder zahlreiche Neukunden gewonnen, die zum Teil aus einem Umkreis von 20 km nach Raschau gezogen sind. Das Altersspektrum reicht von 55 bis knapp 80 Jahre. Jüngere Mieter sind zwar im Prinzip herzlich willkommen, konnten aber noch
nicht für das Wohnhaus der besonderen Art begeistert werden.

Die Kaltmiete beträgt 5,60 €/m2, was im Erzgebirge nicht wenig ist – die Durchschnittsmiete im Bestand der WG Raschau liegt bei 4,70 €/m2. Trotz der moderaten Miete rechnet sich das Projekt auf lange Sicht für das Wohnungsunternehmen, betont der Geschäftsführer. Ein ähnlich ehrgeiziges Nachfolgeprojekt ist allerdings nicht in Sicht: „Eine so große Investition“, sagt Schwengfelder, „werden wir so schnell nicht wieder tätigen.“

Quelle: www.diewohnungswirtschaft.de

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